LOCKERUNG DER ANGESPANNTEN SEHNE (Code 112) - Yi Mu Cao
weitere InformationenEs lebte einmal eine arme Mutter mit ihrem einzigen Vermögen, dem lausbübischen zehnjährigen Sohn. Als wäre die Not nicht groß genug, nahm ihr eine schwere Erkrankung seit der Geburt ihres Sohnes jede Freude und erhöhte nur die Not des Lebens und das Leiden. Die Ursache der unerträglichen Bauchschmerzen und des stark schwankenden Regelzyklus war ein nicht entfernbares Blutgerinnsel, das ohne ordentliche Behandlung in ihren Eingeweiden entstanden war. Der Junge war von Tag für Tag tiefer bedrückt, als er seine liebe Mutter an den nur schwer verborgenen Schmerzen leiden sah. Er versuchte sie immer eindringlicher, davon zu überzeugen, schnellstens zum Arzt zu gehen, um ihre irdische Hülle wieder „instand zu setzen“. Die arme Frau wies jedoch den Sohn mit lachendem Antlitz und tiefem Leid in ihren Augen ab, dass sie es sich nicht leisten könne, und „es ging doch irgendwie, und es wird wieder irgendwie werden“.
An einem besonders schmerzhaften und düsteren Tag beendete der Junge jedoch das Aufschieben des Unvermeidbaren und er ging heimlich selbst und auf eigene Faust zum Kräuterheiler. Er kaufte bei ihm das geeignete Heilkraut, wodurch er sich selbst ins vollkommene Elend stürzte und kochte dann einen starken Extrakt. Er verabreichte der Mutter den Extrakt durch den vorzeitig gealterten Mund, damit sie das Heilgetränk über die Speiseröhre aufnehmen kann. Gleich nach diesem ersten Heilritual trat eine mäßige Linderung ein. Ermutigt durch die offensichtlich mehr als günstigen Ergebnisse, lief der Junge zum Meister Kräuterheiler zurück und fragte ihn, wie viel die volle Genesung seiner Mutter kosten würde. Nach der umfassenden Untersuchung des Zustands der Mutter stellte der Arzt fest, dass es in der Summe insgesamt ca. 500 Pfund Reis kosten würde. Der Junge wurde traurig, da sich Maßeinheiten in seiner Vorstellung auf eine Handvoll Reis und einen löchrigen Sack mit Hirse beschränkten. Plötzlich dämmerte es dem Jungen und er versicherte dem Meister der Medizin, dass er ihm nach der Genesung seiner Mutter bestimmt diese halbtausend Pfund des körnigsten Reises bezahle. Der Heiler sah den armen Jungen prüfend an. Nach einer Weile stimmte er jedoch zu, seine Mutter vollkommen zu heilen.
Um Mitternacht der folgenden sternklaren Nacht begab sich der Arzt in die unweiten steilen Berge, dorthin, wohin sich außer ihm niemand traute. Der Junge tat in dieser Nacht jedoch kein Auge zu und als der geschickte Kräutersammler über die Schwelle trat, folgte er heimlich und verborgen seinen Spuren. Sie gingen wirklich über Stock und Stein, sprangen über rauschende Flüsschen, kletterten über scharfe Felsen, drangen durch dichten Bewuchs vor und ohne die hell leuchtenden Sterne hätte der Junge das Objekt seiner Verfolgung irgendwo in schwarzer Finsternis endgültig verloren. Sie gingen wie ein menschliches Wesen, das seinen Schatten in der Wüste nicht wahrnimmt – so geräuschlos und unauffällig wie der „Schattenjunge“ sein ausgesuchtes Ziel verfolgte. Endlich kamen sie an eine Waldlichtung, verborgen innerhalb der zerrissenen Felsen. Hier pflückte der Arzt einen Arm voll von einem unauffälligen Kraut. Der Junge wartete gut verborgen in einem Felsenriss und sobald der Sammler fort war, löste er ihn ab und füllte seinen schon oft geflickten und mit Flicken übersäten Rucksack mit dem Kraut. Bei Tagesanbruch kam er todmüde, aber glücklich zurück nach Hause.
Am nächsten Tag, als die Sonne gerade im Scheitelpunkt stand, besuchte der Arzt ihren armen Haushalt, um durch die Heilung wenigstens etwas Freude zu bringen. Der Junge sagte dem Kräuterspezialisten jedoch zerknirscht, dass es ihm wohl nicht gelingen würde, die gewünschte halbe Tonne Reis zu beschaffen. Der mit den Jahren versierte Arzt stimmte verständnisvoll zu und gab dem Jungen als eine kleine Anzahlung wenigstens eine Handvoll des gestern frisch gepflückten Krauts. Dann zwinkerte er dem Jungen mit seinen herzensguten Augen zu und ging fort, um seine sonstigen Pflichten zu erfüllen und andere Patienten zu besuchen. Das Zwinkern des Arztes weckte dann noch lange Zeit widersprüchliche Gefühle bei dem Jungen...
Er kochte dennoch die Heilkräuter für die geliebte Mutter in richtiger Menge und Verhältnis, und früher als der größte Optimist erwartet hätte, wurde sie durch diese Heilungsmethode geheilt. Seit dieser Zeit wird das Kraut „Gutes für Mütter“ genannt, auch weil es alle Gebrechen und Durcheinander in der Bauchgegend heilen kann.
Laut der traditionellen chinesischen Medizin wirbelt Yi Mu Cao (Herba Leonuri Heterophylli) die Blutstagnation auf, bringt das Blut in Bewegung, löst Blutansammlungen, fördert das Urinieren und vermindert Ödeme. Dieses Kraut ist beispielsweise Bestandteil der Kräutermischung Lockerung der angespannten Sehne (Code 112).
Aus Sicht der modernen Medizin wirkt das Kraut positiv bei Hypotonie, Nierenentzündungen und hat eine ähnliche Wirkung auf die Gebärmutter wie Oxytocin.
Nähere Informationen über die traditionelle chinesische Medizin entnehmen Sie den Büchern Auf der Welle der chinesischen Medizin (2002) und Von der Quelle der chinesischen Medizin (2007).
MUDr. Petr Hoffmann